Diethart Kerbs: Fotografie als Waffe. Zum Stellenwert der Arbeiterfotografenbewegung
Die Arbeiterfotografenbewegung in der Weimarer Republik war eine Bewegung politisch engagierter proletarischer Fotoproduzenten in statu nascendi bzw. im Kindheitsstadium, die kaum sieben Jahre alte werden konnte, als sie schon unter der Herrschaft ihrer Gegner zerbrochen und illegalisiert, d.h. in den zwölf Jahren des NS-Regimes so gut wie ausgelöscht wurde. Heute darüber zu diskutieren, könnte heißen, sich die uneingelösten Möglichkeiten einer fotografischen und publizistischen Praxis zu vergegenwärtigen, deren Realisierung freilich die Existenz einer kräftigen sozialen Bewegung (wie damals die der Arbeiterbewegung) zur Voraussetzung hätte. Wir leben aber heute in Deutschland in einer bürgerlichen Gesellschaft, in der die Herrschaftsverhältnisse weitgehend anonymisiert sind, die Arbeiterklasse teils dezimiert, teils privilegiert ist und die Gesamtbevölkerung tendenziell proletarisiert (d.h. von der Mitwirkung an den wesentlichen Entscheidungen über ihr eigenes Schicksal ausgeschlossen) wird. Die bescheidenen Versuche, in den siebziger Jahren eine kritische Gegenöffentlichkeit ohne die notwendige soziale Rückendeckung aufzubauen, sind seit spätestens 1982 durch ein konsequentes Rollback von rechts längst zunichte gemacht worden. Solange sie nicht Gefahr laufen, auf die öffentliche Meinung nachhaltigen Einfluss zu gewinnen, werden einige luxurierende Nischen im Freizeit- und Hochschulbereich (wie diese Tagung hier) zur Aufrechterhaltung der Illusion allgemeiner Kulturtoleranz wohl noch eine Weile geduldet werden.

 

 

 

 

 


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